Mentale Autobahnen: Warum Führungskräfte oft besser dran sind mit einem Psychologen als mit einem Coach
31.03.2024 | Lesezeit 4 min
Coaching ist bei Führungskräften beliebt. Die Coaching-Angebote bei Google sind so vielfältig wie das Shampoo-Regal im Supermarkt: Es gibt Coaches für jede Branche und jedes Thema unter der Sonne: Coaches für selbständige Frauen, für Diversity und solche, die Verhandlungen begleiten. Jeder, der schon Geld verdient und das in Zukunft noch erfolgreicher tun will, findet das passende Coaching-Angebot.
Führungskräfte nutzen Coaching, um mit ihren täglichen Problemen besser umzugehen: um Stress zu bewältigen, Konflikte zu lösen oder Entscheidungen zu treffen. Dabei liegt der Fokus klar auf Optimierung: effizienter, schneller, besser. Coaching gibt Führungskräften das Versprechen, sie in das Geheimnis der Selbstoptimierung einzuweihen: Wie kann ich Stolpersteine schneller und erfolgreicher aus dem Weg räumen, ohne Zeit und Energie zu verschwenden?
Die Nachfrage nach Coaching ist enorm. Die Branche erwirtschaftet allein in Deutschland einen Umsatz von rund 800 Millionen Euro pro Jahr. So wichtig ist die Selbstoptimierung mittlerweile geworden, dass Coaches Preise bis zu 800 Euro für eine Stunde aufrufen. Es darf so teuer sein, weil es offensichtlich auch liefert.
Wo Coaching nicht weiterkommt
Coaching stößt allerdings hier und da an seine Grenzen. Nämlich dann, wenn ein Klient die berufliche Optimierung nicht erreicht, weil er mit tiefer liegenden Schwierigkeiten kämpft, die als erstes angegangen werden müssen. Häufig sind es die Partnerschaften, in denen solche Schwierigkeiten zuerst offensichtlich werden. Dazu zwei Beispiele aus meiner Praxis:
- Eine erfolgreiche Juristin kann ihren Ehemann nicht mehr ertragen, der die Rolle des Hausmanns und Vaters übernommen hat. Im Grunde verachtet sie ihn und macht ihn gefühlt für die schwierige Geburt ihres zweiten Kindes verantwortlich (auch wenn sie es bei klarem Kopf besser weiß). Zuhause ist es für sie kaum auszuhalten. Ihre Traurigkeit und Einsamkeit belasten sie nicht nur zuhause, sondern auch im Büro. Vor kurzem hat sie eine Beziehung mit einem 15 Jahre jüngeren Kollegen begonnen. Sie fühlt sich einerseits wieder lebendig, hat andererseits aber auch ein riesiges schlechtes Gewissen deswegen. Jeden Tag geht sie mit Bauchschmerzen zur Arbeit und mit Bauchschmerzen wieder heim. So kann und will sie nicht mehr leben. Nur das Coaching-Programm hilft ihr jetzt nicht mehr.
- Ein Start-up Unternehmer kam zu mir, weil er aus heiterem Himmel eine Affäre mit einer zufälligen Bekannten begonnen hatte. So leichtsinnig ist er mit seiner Affäre durch die Restaurants der Stadt gezogen, dass er dabei von seiner Freundin erwischt wurde. Er hat die Affäre sofort beendet und bemüht sich seitdem, seine Beziehung zu reparieren. Nur ist diese Beziehung nicht mehr dieselbe, denn seine Freundin ist sehr verletzt und misstrauisch geworden. Er leidet und versucht, sich selbst zu verstehen: Wie konnte er seine große Liebe nur so aufs Spiel setzen? Und das auch noch mit einer Dame, die so überhaupt nicht seine Kragenweite war? Kurze Zeit später erlebt er außerdem noch Angstzustände vor wichtigen Verhandlungen mit Investoren – etwas, das völlig neu ist für ihn. Sein Verhandlungs-Coaching bringt ihm nichts mehr.
Was Counselling und Therapie unterscheidet
In solchen Fällen ist Counselling die bessere Lösung. In UK und den USA wird der Begriff Counselling für psychologische Beratung und Therapie benutzt, die sich eher um die milderen Probleme kümmert: akute Krisen, Trennung, Jobverlust, leichte Depressionen. Die Begriffe Therapy oder Psychotherapy werden benutzt für klinische Behandlungen und für die schweren Probleme: Borderline, Schizophrenie, Zwangsstörungen. Diese Trennung zwischen Counselling und Therapie gibt es im Deutschen leider nicht, hier wird alles Psychotherapie genannt. Dieser Begriff ruft allerdings bei vielen ungute Gefühle hervor: „Das ist was für die schweren Fälle. – Ich bin doch nicht verrückt. – Wenn das jemand weiß, dann bin ich erledigt.“
Hinzu kommt, dass Coaches mit ihrem Auftreten, ihrer Kleidung und ihren Büros dem Lebensgefühl eines Managers oft nahe sind. Psychologen und Psychotherapeuten dagegen sind (zumindest in Deutschland) eher etwas sorgloser gekleidet, sprechen eine therapeutisch-weiche Sprache und verbreiten eine Atmosphäre, die Sitzkissen, Räucherstäbchen und Birkenstock miteinander vermischt. Ich kann verstehen, dass viele Führungskräfte gegenüber Psychologen eher reserviert und skeptisch sind. Daher bleibe ich lieber bei dem Begriff Counselling, der frischer und unbelasteter klingt.
Sowohl Coaching als auch Counselling geben also Unterstützung für psychologische Herausforderungen. Counselling geht jedoch tiefer. Für eine Psychologin sind Gefühle genauso wichtig wie Gedanken. Und eine Psychologin sieht ihren Klienten als ganze Person, nicht nur das eine Problem, das gelöst werden muss. Das ist auch sinnvoll, denn unsere Probleme beruhen oft auf unseren Einstellungen. Diese Einstellungen sind alte, ziemlich vergilbte Schablonen (oft aus der Kindheit), mit denen wir auch jedes neue Problem lösen möchten – auch wenn wir merken, dass die alte Schablone schon längst nicht mehr zum neuen Problem passt. Wir stecken dadurch fest und können uns nicht so verhalten, wie wir gern möchten: authentisch, selbstbewusst, klar, positiv. Aber warum verwenden wir sie immer wieder? Weil sie uns vertraut sind. Diese Schablonen sind tief verwurzelte und oft wiederholte Strategien. Man kann sich das vorstellen wie häufig benutzte mentale Autobahnen. Neue Straßen zu benutzen, ist aufwändig, macht Angst und braucht die volle Aufmerksamkeit. Es hilft sehr, in solch einem Projekt eine verständnisvolle und unerschrockene Begleiterin an der Seite zu haben.
Eine Psychologin ist im Gegensatz zu einem Coach immer eine psychologische Fachkraft, die ihr Handwerk in einer der verschiedenen therapeutischen Schulen gelernt hat. Die größten Schulen sind die Verhaltenstherapie, die Psychoanalyse, die systemische Therapie und der personzentrierte Ansatz. Für Führungskräfte ist der personzentrierte Ansatz aus 4 Gründen ein besonders guter Partner. Zum einen reden Psychologin und Klient auf Augenhöhe miteinander. Zweitens liegt der Fokus in der Arbeit im Hier und Heute, nicht in irgendwelchen unterbewussten frühkindlichen Erinnerungen. Drittens gibt der Klient die Themen und das Tempo vor – etwas, was vielen Führungskräften besonders wichtig ist. Und das vielleicht wichtigste Detail: Die Veränderungen in der therapeutischen Arbeit setzen ein (und halten an), weil die Psychologin den Klienten nicht bewertet, beurteilt oder gar verurteilt. Egal, was der Klient empfindet oder sagt – es darf sein und es ist in Ordnung. Da Manager häufig und zahlreich von außen bewertet werden, ist es wohltuend und hilfreich, im Counselling zu lernen, dass nur die eigenen inneren Bewertungen zählen.
Wer müde ist, trinkt eher einen (doppelten) Espresso als einen Latte Macchiato. Der Espresso ist am besten richtig heiß und furchtbar bitter – aber er macht munter. Wer also wirklich in seinem Kopf aufräumen möchte, sollte überlegen, die nächste Me-Time eher bei einer Psychologin zu buchen als bei einem Coach.