Der Umgang mit Angst und Panikstörungen in der personzentrierten Psychotherapie
08.07.2023 | Lesezeit: 11 min
Angst ist natürlich und wichtig
Angst ist die natürliche Reaktion der Psyche auf eine Bedrohung und schützt vor schädigenden Einflüssen. Angst schlägt Alarm, Angst erhöht die Wachsamkeit, Angst setzt das Signal für Flucht oder Verteidigung. Als unpassend wird Angst erst dann bezeichnet, wenn objektiv keine Gefahr für den Organismus besteht.
Die personzentrierte Psychotherapie unterscheidet sich maßgeblich von den anderen Schulen der Psychotherapie, v.a. der Verhaltenstherapie und der Psychoanalyse. In der personzentrierten Theorie hat Angst eine zentrale Bedeutung. Wenn das, was wir wahrnehmen und erleben, irgendwie nicht zu dem passt, wie wir uns selbst sehen, wird es ziemlich gefährlich für uns. Unser Empfinden, eine Wahrnehmung oder ein Gefühl, stimmt dann nicht überein mit unserem Selbstkonzept, der Vorstellung, wie wir sind. Dadurch wird das oft sehr starre Selbstkonzept bedroht; es müsste sich vielleicht ändern, was es nicht kann oder nicht will (oder beides). Also muss die Psyche diese Empfindung abwehren. Und wenn das immer schwieriger wird, reagiert der Organismus mit Angst.
Bei der ersten Panikattacke hat die Abwehr versagt
Interessant ist immer, wann die erste Panikattacke auftritt: Oft passiert das nämlich genau zu einem Zeitpunkt, als bestimmte, wesentliche Gefühle oder Empfindungen plötzlich hoch kamen, nicht mehr aus dem Bewußtsein verdrängt werden konnten und die Abwehr versagte – und es gleichzeitig unerträglich für den Betroffenen war, solche Empfindungen überhaupt zu haben.
Ein Beispiel: Eine junge Frau will Grundschullehrerin werden, weil für sie dieser Beruf das einzig Wahre ist (Selbstkonzept). Am ersten Tag in der Schule merkt sie, dass ihr Kinder total auf die Nerven gehen (Empfinden). Sie ahnt, dass hier etwas nicht stimmt. Dass sie sich vielleicht jahrelang selbst etwas vorgemacht hat. Dass sie eigentlich den Beruf wechseln müsste, weil sie sich nicht vorstellen kann, das noch 30 Jahre lang auszuhalten. Aber dann kämen sicher massive Vorwürfe ihrer Mutter, denen sich die junge Frau absolut nicht gewachsen fühlt. Die unerwarteten, peinlichen, angstmachenden Empfindungen an diesem ersten Tag waren so unerträglich für ihr Selbstkonzept, dass die Psyche sich nicht mehr zu helfen wusste und mit einer Panikattacke reagierte.
Die Intensität der (ersten) Panikattacke gibt dabei einen Hinweis darauf, wie dringlich und wie bedeutend die Empfindung ist, die ins Bewußtsein gelangt ist. Die Intensität gibt andererseits auch einen Hinweis darauf, wie bedrohlich und unerlaubt die Empfindung für das Selbstkonzept erscheint, wie sehr das Selbstkonzept davon bedroht ist. Die weiteren Panikattacken werden dann von vielen Klienten als ,,wie aus heiterem Himmel“ erlebt, ohne einen bestimmten Auslöser.
Nachdem sich nun eine Empfindung bemerkbar machen wollte und dabei solche Angst und Panik ausgelöst hat, schützt die Psyche sich ab jetzt noch besser: Sie reagiert nun noch schneller und noch früher auf alles, was irgendwie gefährlich werden könnte für das Selbstkonzept. Schon vorbewusst als Bedrohung wahrgenommene Erfahrungen und Empfindungen werden abgewehrt. Und zwar mit Angst und Panik. Damit kann der Organismus die Erfahrungen und Gefühle abwehren – leider um den Preis, mit der Angst und den Panikattacken zu leben. Betroffene beschäftigen sich dann “nur noch” mit diesen Attacken, die so unerklärlich scheinen. Sie vermeiden damit aber auch (aus guten Gründen!), sich mit den eigentlichen Gefühlen wie z.B. Scham, Peinlichkeit, Schuld, Zurückweisung auseinanderzusetzen.
Was übrig bleibt, ist Angst. Angst, die aber anscheinend nichts mit der eigenen Person zu tun hat. Angst, die unverständlich ist und daher auch inakzeptabel. Diese Angst schützt den Betroffenen davor, alle Empfindungen angemessen wahrzunehmen, weil damit ja das Selbstkonzept zusammenbrechen würde. Die Angst ist also so etwas wie eine Notbremse. Sie verhindert das totale Chaos – und hat damit auch einen Sinn und eine Berechtigung.
Warum zeigt sich die psychische Spannung ausgerechnet in einer Panikattacke?
Macht ein Kind wichtige Erfahrungen, die von den Eltern nicht anerkannt (und gewürdigt) werden, erlebt das Kind einen Widerspruch, eine Diskrepanz. Zum Beispiel erlebt die erstgeborene Tochter, dass es ihr überhaupt keinen Spaß macht, auf ihren kleinen Baby-Bruder aufzupassen. Die Eltern schimpfen sie dafür aus, denn schließlich “muss man sich doch um sein kleines Geschwisterkind kümmern”. So ausgeschimpft zu werden für eine natürliche Empfindung, ist eine akute Belastung, auf die das Kind mit Angst reagiert. Die Erfahrung, ich hasse es, auf meinen Bruder aufzupassen, wird abgewehrt und angezweifelt.
Wenn diese Belastungsreaktion im zweiten Schritt auch nicht von den Eltern anerkannt wird, sondern vielleicht als ein Ausdruck von ungezügelter Aggression gesehen wird, kann das Kind die gesamte Erfahrung nicht in das Selbstkonzept integrieren. Nachdem schon die primäre Erfahrung abgewehrt werden musste, wird nun die sekundäre Belastungsreaktion weder erlebt noch erkannt. Wenn diese Menschen später Angst, Depressionen oder Kontrollverlust erleben, wird ihnen selbst dann nicht bewusst, dass sie damit eigentlich auf eine Empfindung reagieren, durch die ihr Selbstkonzept, ihre Selbstachtung bedroht ist. Ihnen wird nicht bewusst, dass sie ihre Empfindung negativ bewertet haben und deshalb abwehren.
Die einfache Formel würde lauten: Ich empfinde Angst, weil mein Selbstkonzept bedroht ist. Aber diese Schlussfolgerung konnten Betroffene nicht ziehen, weil die Eltern ihre Belastungsreaktionen nicht verstanden und anerkannt haben. Und weil sie diese Schlussfolgerung nicht ziehen konnten, können sie später um so besser die erlebte Angst vom eigentlichen Thema trennen: dem Widerspruch zwischen einer Empfindung und dem Selbstkonzept.
Klienten sind oft stark nach außen orientiert
Das auffälligste Merkmal von Klienten mit Panikattacken ist die stark ausgeprägte Außenorientierung: Sie erzählen oft, wie wichtig ihnen die Meinung anderer ist, wie sehr ihnen auch nur geringste Kritik an ihrer Person zu schaffen macht, wie ihnen vieles oft peinlich ist und wie oft sie sich wegen Kleinigkeiten zutiefst schämen. Sie haben große Probleme, sich abzugrenzen, sich zu wehren oder einfach nur nein zu sagen. Gleichzeitig ist der Ärger groß, so abhängig von der Meinung anderer zu sein und sich nicht adäquat wehren zu können. Betroffene empfinden das als Schwäche, die sie nur sehr schwer vor sich selbst und anderen zugeben können.
Häufig handelt es sich um sehr unsichere Menschen, die Angst haben vor Einsamkeit und Kontrollverlust. Sie finden es äußerst peinlich, sich in den Angstanfällen nicht kontrollieren zu können. Das (ideale) Bild von sich selbst ist, ein Mensch zu sein, der in allen Lebenslagen unabhängig, cool, selbstsicher und vernünftig ist sowie sich keine Blöße gibt. Menschen mit Angstattacken haben im Laufe ihres Lebens einen besonderen Umgang mit ihren Erfahrungen entwickelt, der darin besteht, Gefühle abzuwehren, ängstlich Gefühlsäußerungen jeglicher Art unter Kontrolle zu halten, unter keinen Umständen aufzufallen und sehr streng und rigide im Umgang mit sich selbst zu sein.
Warum ist das Selbst so verletzlich, unsicher und fragil?
Klienten mit Panikattacken haben eine lange Geschichte der Abhängigkeiten von anderen Menschen hinter sich. Es beginnt in der frühen Kindheit, wo sie in einem Klima von ängstlicher Sorge kaum Spielraum für eine eigenständige Entwicklung hatten. Als Kinder wurde ihnen von den Eltern vermittelt, ständig auf der Hut vor möglichen Gefahren zu sein. Auf lebhafte, aktive Schritte hinaus in die Welt haben die Eltern nicht mit Wertschätzung und Unterstützung reagiert, sondern mit Besorgnis und teilweise auch mit Liebesentzug. So mussten sie z.B. ständig an der Hand gehen, durften ihre Kleidung nicht schmutzig machen, sollten nicht laut sein und nur ja nirgends unangenehm auffallen.
Auffällig ist, wie wichtig die Meinung von wichtigen Bezugspersonen auch später noch für das Verhalten der Betreffenden ist. Viele Gedanken kreisen darum, was wohl die Mutter meint, was sie zu diesem oder jenem sagt. Klienten mit Angstanfällen hörten und erlebten als Kind immer wieder, wie bedrohlich die Umwelt sei. Sie spürten die Lebensangst ihrer Eltern und auch, dass ihre lebhaften, aktiven Schritte nach außen unerwünscht sind. Kinder, die unter solchen Bedingungen aufwachsen, fühlen sich irgendwann nur zuhause wirklich sicher. Es entsteht eine Hab-acht-Atmosphäre, die hauptsächlich von überbehütenden Müttern geschaffen wird, und in der das Kind in einer von Angst geprägten Umgebung aufwächst – insbesondere einer Angst vor Aggressionen und Abhängigkeiten.
Die einengende Erziehung löst Wut und Zorn aus
In bestimmten Phasen beantwortet nun jedes Kind elterliche Gebote und Verbote mit Trotz und Gegenwehr, auch Kinder, die derart eingeengt aufwachsen. Ihre Eltern reagieren darauf oft mit völligem Unverständnis und fühlen sich bedroht. “Wieso ist das Kind so undankbar, wo ich doch alles für sie/ihn tue, wo ich mich so aufopfere?” ist ein Satz, den Klienten mit Panikattacken oft hörten.
Mit der Zeit entstehen bei den Kindern große Schuldgefühle und ein Gefühl, zutiefst schlecht zu sein, wenn man mit dem eigenen Verhalten die Eltern so tief kränkt – was man ja nicht wollte. Es entwickelt sich auch Angst, die Eltern zu verlieren. In der Folge bleibt den Kindern nichts anderes übrig, als die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu vergessen, um weiter Liebe und Zuwendung zu bekommen. Vor allem auch wegen der Schuld, dass die eigentlich gesunde (!!) Auflehnung und Opposition so fatale Folgen hatte.
Für eine gesunde Entwicklung wäre es wichtig, dass ein Kind zu unterscheiden lernt zwischen
- Das ist meine Erfahrung, egal wie sie von mir und anderen bewertet wird.
und
- Das ist die Beurteilung meiner Erfahrung durch mich oder jemand anderen.
Kinder in einer so einengenden Erziehung können diese Erfahrung nicht machen, weil sie nicht empathisch verstanden und bedingungslos akzeptiert werden in ihrer Wut und Ohnmacht. Um weiterhin eine Chance auf Liebe und Zuwendung zu haben, werden die eigenen, natürlichen Empfindungen negativ bewertet und verdrängt. In der Folge werden diese verdrängten Erfahrungen mit Angst besetzt und es entsteht ein sehr fragiles, an bestimmte Bedingungen geknüpftes Selbstwertgefühl.
Der grundlegende Konflikt: Ungebundenheit und Kreativität vs. Sicherheit und Geborgenheit
Im Selbstkonzept von Klienten mit Panikattacken sind oft hohe Ideale enthalten: Anständigkeit, Moral, Eigenständigkeit, Tüchtigkeit, Perfektion. Gleichzeitig nehmen sie sich selbst wahr als sehr unselbständig, furchtsam und angewiesen auf die Anwesenheit anderer. Hier besteht ein erster Konflikt zwischen autonomen Bedürfnissen einerseits und abhängigen Bedürfnissen andererseits. Dieser Konflikt ist ein Konflikt innerhalb des Selbstkonzeptes.
Aber auch zwischen dem Selbstkonzept und der in uns angelegten Selbstverwirklichungs-Tendenz gibt es einen Konflikt: Das Selbstkonzept braucht Sicherheit und Geborgenheit, da die Betroffenen sehr selbstunsicher sind, den Schutz anderer suchen und brauchen. Die Selbstverwirklichung-Tendenz dagegen (in der personzentrierten Theorie auch Aktualisierungstendenz genannt) zielt ab auf Ungebundenheit, Autonomie und Abnabelung von wichtigen Bezugspersonen.
Gefährliche Erfahrungen und Empfindungen werden abgewehrt
Klienten mit Panikattacken haben viele übernommene Wertmaßstäbe und Normen in ihrem Kopf. Sie erleben sich selbst als gute Mutter, als braver Sohn, als angepasster Mitarbeiter. Fast krampfhaft sind sie darum bemüht, nicht aufzufallen, nicht anzuecken, sich zu kontrollieren und den Wünschen ihrer Mitmenschen zu entsprechen. Erfahrungen von Ich habe eigene Wünsche, ich bin egoistisch, ich lehne mich gegen etwas auf bringen sie aus ihrem mühsam erworbenen Gleichgewicht.
Eine Frau erleidet beispielsweise ihre erste Panikattacke, als drei Monate nach der Geburt ihrer Tochter plötzlich der Wunsch auftaucht, wieder einmal unbeschwert abends auszugehen – so wie früher. Gleichzeitig verbietet sie sich, ihr Baby jemand anderem anzuvertrauen, da dies doch irgendwie bedeutet, dass sie ihr Kind nicht liebt. Die folgenden Angstanfälle fesseln sie ab dann ans Haus, ein Hinausgehen ist ohne Begleitung nicht möglich. Es entsteht eine enorme Abhängigkeit, die jegliche Bestrebungen nach etwas mehr Selbständigkeit oder Unabhängigkeit unweigerlich zunichtemachen.
Da Klienten mit Panikattacken keine Selbst-Empathie für ihre eigene Angst entwickelt haben, bleibt die Angst als Symptom isoliert bestehen. Die immer wiederkehrenden Panikattacken führen in relativ kurzer Zeit zur Angst vor der Angst und zu einem Vermeidungsverhalten. Wie wir weiter oben gesehen haben, tritt die erste Panikattacke oft zu einem Zeitpunkt auf, als begonnen wurde, einen ersten Schritt in Richtung Unabhängigkeit zu machen. Hier zeigt sich der grundlegende Konflikt zwischen dem Streben nach mehr Autonomie hier und dem Streben nach Sicherheit und Geborgenheit da.
Die Klienten suchen mithilfe der Panikattacken unbewusst eine Abhängigkeit, die sie für sich brauchen, da sie ja nie gelernt haben, eigenständig und autonom zu sein. Diese Abhängigkeit erzeugt aber auch enorme Wut, Zorn und Betroffenheit; und sie widerspricht dem Selbstideal eines selbständigen, zupackenden Menschen. Abhängigkeit versus Unabhängigkeit ist also das Leitthema bei Menschen mit Angstattacken. Dieser Zwiespalt in den Gefühlen ist auch deutlich spürbar, wenn die Klienten zur Therapie kommen.
“Sie sind meine letzte Hoffnung.”
Klienten, die mit Angst oder Panikattacken in die Therapie kommen, sind teilweise massiv verunsichert: Sie haben in der Regel einen langen Leidensweg mit unzähligen medizinischen Untersuchungen hinter sich, meist ohne Befund und ohne Erfolg. Nun plötzlich sollen sie sich mit ihrer mentalen Situation auseinandersetzen, um endlich weiterzukommen. Da sie die Angst aber so isoliert erleben, können sie sich kaum vorstellen, dass da ein Zusammenhang bestehen könnte.
Oft ist der Leidensdruck enorm groß, denn sie haben schon alles versucht. “Sie sind meine letzte Hoffnung. Ich bin völlig verzweifelt. Ich tue alles, was Sie sagen, nur machen Sie, dass ich das loswerde.” Solche Aussagen zeigen, wie schlimm es um viele Klienten steht; sie bringen gleichzeitig auch zum Ausdruck, wie die Therapeutin idealisiert wird und welches Bedürfnis nach Abhängigkeit hier besteht.
Viele Klienten sind darüber hinaus nicht wirklich überzeugt davon, dass es hilft, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Oder sie haben Angst vor ihren eigenen Gefühlen und wehren die Versuche der Therapeutin, empathisch zu sein, ab. Je einfühlsamer die Therapeutin ist, je mehr versteckte, aber verbotene Gefühle sie aufzuspüren glaubt, desto stärker wird der Widerstand und die Verteidigungshaltung des Klienten. Zum Beispiel verneint ein Klient, dessen Wut auf seine Freundin unterschwellig immer wieder spürbar ist, dieses Gefühl strikt, als die Therapeutin ihn darauf anspricht und beginnt, mit vielen Argumenten zu belegen, dass er eine sehr glückliche Beziehung führt.
Ernst nehmen
“Ich habe keine Probleme, und wenn diese unerklärlichen Angstzustände nicht wären, wäre ich der glücklichste Mensch“, ist eine Aussage, die personzentrierte Therapeuten ernst nehmen, weil sie auch viel über die heile Welt des Klienten aussagt.
Oft sprechen die Klienten in den ersten Stunden viel über die Verunsicherung und die Lebenseinschränkungen, die mit den Panikattacken einhergehen. Hier können die Klienten das empathische Beziehungsangebot der Therapeutin annehmen und erzählen oft zum ersten Mal, wie schlimm die Angstanfälle für sie sind. Häufig wissen sogar die Lebenspartner nicht, wie sehr sich die Betroffenen mit ihren Ängsten quälen, wie verzweifelt sie eigentlich sind, wie ungeheuer groß die Anstrengung ist, das tägliche Leben zu meistern. Die Betroffenen haben den Eindruck, die Menschen um sie herum halten sie für verrückt und hysterisch, da ja auch die Ärzte immer wieder betonen, dass sie sich doch eigentlich bester Gesundheit erfreuen.
Langsam kann dann die Auseinandersetzung mit dem Selbstkonzept beginnen, mit der Diskrepanz zwischen wie man ist und wie man doch sein sollte. In einem nächsten Schritt gelingt es den Klienten allmählich, mehr Verständnis für ihre Angst aufzubringen und die Angst-Erfahrung mit all ihren Aspekten und Bewertungen (z.B. der erlebten Hilflosigkeit) ins Selbstkonzept zu integrieren. Es wird eine erste Ahnung dafür entwickelt, dass bestimmte Erlebnisse oder Gefühle Angst auslösen können.
In einem späteren Stadium der Therapie ist es den Klienten dann möglich, Zugang zu den Erfahrungen zu finden, die seit der Kindheit mit Angst besetzt sind. Gerade bei Klienten mit Angst und Panik sind diese ursprünglichen, natürlichen Bedürfnisse oft sehr verschüttet.
Zusammengefasst: Angst entsteht aus der Bedrohung des Selbstkonzeptes
Im personzentrierten Ansatz besteht psychisches Leiden darin, dass dem Betroffenen wesentliche Teile seiner Person nicht bewusst zugänglich sind. Im Falle von Klienten mit Panikattacken sind es Gefühle von Autonomie, Selbständigkeit und Unabhängigkeit von wichtigen Bezugspersonen – die nicht passen zu einem Selbstkonzept, das bestrebt ist, möglichst viel an Sicherheit und Geborgenheit zu bekommen.
Angst entsteht, wenn Bedürfnisse nach mehr Autonomie an die Oberfläche drängen. Da Angst-Erfahrungen jedoch schon seit früher Kindheit nicht angemessen in das Selbstkonzept integriert werden konnten, wird der Zusammenhang der Angst mit diesen selbstwert-bedrohlichen Bedürfnissen geleugnet. Die Angst bleibt als isoliertes Phänomen, als Symptom, bestehen.
Im therapeutischen Prozess ist es wichtig, in einem ersten Schritt das Angst-Erleben des Klienten mit allen Bewertungen empathisch anzuerkennen. Dann erst kann auch der Klient die Angst allmählich wahrnehmen, akzeptieren und in sein Selbstkonzept integrieren. Er oder sie kann verstehen, dass die Angst eine Reaktion ist auf eine Wahrnehmung, auf ein Erlebnis oder ein Gefühl, das die Selbstachtung in Frage stellt. Durch dieses Verständnis wird es möglich, sich mit den selbstwert-bedrohlichen Erfahrungen und Bedürfnissen auseinanderzusetzen – und es kommt allmählich zu einer sanften Umstrukturierung des Selbstkonzeptes.
Dieser Blog basiert auf dem Artikel “Panikstörung und Selbstkonzept” von Christine Wakolbinger, der 1996 in der Zeitschrift “Psychotherapie Forum” veröffentlicht wurde.