Macht ist nicht unbedingt schlecht, wirkt sich aber dennoch auf das Verhalten aus
01.08.2023 | Lesezeit: 3 min
Macht ist eine Tatsache im Unternehmensleben. Und Macht wirkt sich auch auf das Verhalten aus. Forschungen haben ergeben, dass Menschen aufgrund von Macht weniger geneigt sind, auf den Rat anderer zu hören, selbst wenn diese Experten auf ihrem Gebiet sind. Durch Macht wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Menschen ihre leiblichen Bedürfnisse befriedigen. In einem Test, der von Ana Guinote vom University College London durchgeführt wurde, wählten mächtige Menschen eher als weniger mächtige Menschen verlockende Lebensmittel wie Schokolade und ignorierten gesunde Snacks wie Radieschen. In Gesprächen sind die Mächtigen von sich selbst verzaubert: Sie halten ihre eigenen Geschichten für inspirierender als die ihres Gesprächspartners.
Schokolade und Radieschen
Es fällt Menschen mit Macht schwer, die Dinge aus der Perspektive anderer zu sehen. In einem berühmten Experiment wurden einige Personen gebeten, sich an eine Zeit zu erinnern, in der sie Macht über jemand anderen hatten, und andere Personen wurden gebeten, sich an eine Zeit zu erinnern, in der eine andere Person in einer mächtigeren Position war als sie; beide Gruppen wurden dann gebeten, ein großes „E“ auf ihre eigene Stirn zu zeichnen. Probanden, die sich selbst für mächtig hielten, zeichneten mit dreimal höherer Wahrscheinlichkeit das „E“ so, als ob sie selbst darauf blicken würden, so dass es für alle anderen verkehrt herum erscheint.
Macht lässt Menschen sogar glauben, sie seien größer. In einem anderen Experiment überschätzten Personen, denen man einredete, sie seien mächtig, ihre eigene Größe im Verhältnis zu einer Stange und wählten einen höheren Avatar, um sie in einem Spiel zu repräsentieren, als weniger mächtige Personen.
Ursache und Wirkung sind hier schwer zu entschlüsseln: Die dominanten Typen, die sich die Schokolade schnappen und die Radieschen liegen lassen, steigen vielleicht auch eher die Karriereleiter hinauf. Doch der Besitz von Macht selbst scheint ein gewisses Kriterium zu sein, das zu einem Verhalten führt, das stärker selbstbezogen und eigennützig ist.
Damit nicht genug: Macht wirkt sich auch auf diejenigen aus, die in der Hackordnung weiter unten stehen. In einer 2016 veröffentlichten Studie von der University of California, San Diego, wurde untersucht, wie sich der Status auf das Lachen auswirkt. Die Forscher zeichneten auf, wie sich die Mitglieder einer Studentenverbindung an einer amerikanischen Universität gegenseitig neckten. Darunter waren einige Neuzugänge und einige alte Hasen. Die Teilnehmer mit höherem Status lachten lauter und mit weniger Hemmungen als diejenigen mit niedrigerem Status.
Ist Macht noch zeitgemäß?
Macht passt nicht mehr so richtig in die heutige Zeit. Gute, leistungsstarke Teams sind auf Zusammenarbeit und Offenheit angewiesen, nicht auf Verklemmtheit und Nachgiebigkeit. Bescheidenheit wird bei Führungskräften zunehmend geschätzt. Bei Einstellungsverfahren achten manche Interviewer auf die Verwendung des Wortes „ich“ anstelle von „wir“ als kleines Indiz dafür, wie egozentrisch ein Bewerber wirklich ist.
Ganze Branchen versuchen, den Auswirkungen von Macht entgegenzuwirken. Die Luftfahrtindustrie wird für eine Ausbildungstechnik namens „Crew Resource Management“ gelobt, die darauf abzielt, eine weniger hierarchische Interaktion im Cockpit zu fördern. Ähnliche Überlegungen gibt es auch an anderen Arbeitsplätzen mit besonders klaren Befehlsketten, von der Armee bis zu Krankenhäusern.
Allerdings ist Macht vielleicht auch zu Unrecht so negativ behaftet. Hierarchien bilden sich oft organisch heraus, und das aus gutem Grund: Wenn alle das Sagen haben, wird kaum etwas erreicht. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie von der Emory University ergab, dass flache Organisationen eher dazu neigen, zu viel Zeit mit der Erkundung von Optionen zu verbringen, als solche, in denen jemand eindeutig das Sagen hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Chef weiß, wovon er redet; allein die Tatsache, dass er das Sagen hat, führt dazu, dass sich ein Team schneller auf eine Entscheidung einigt.
Macht ist ein Instrument, mit dem sich sowohl edle als auch egoistische Ziele erreichen lassen: Es nützt nichts, brillante Ideen zu haben, wenn man nicht die Mittel hat, sie in die Tat umzusetzen. Einer der beliebtesten Kurse an der Stanford Graduate School of Business ist ein erfrischend funktionaler Kurs namens „Paths to Power“. Er wird von Jeffrey Pfeffer unterrichtet, einem charmanten Mann, der den Wert von Regelverstößen, Wutausbrüchen, „strategischer Falschdarstellung“ (d.h. Lügen) und vielen anderen gegen-kulturellen Qualitäten predigt, um an die Spitze zu gelangen.
Edel und egoistisch
Man muss das nicht glauben, um die Bedeutung von Macht zu verstehen. Unternehmen mögen die Idee von Bescheidenheit und Teamarbeit, aber sie sind auch feudale Strukturen, die von Ehrgeiz, Ungeduld und einer Menge ungerechtfertigtem Selbstvertrauen abhängen. Die besten Manager sind sich bewusst, dass ihre eigene Macht Wellen in der Organisation schlägt. Sie achten darauf, ihre Meinung nicht zu früh in Besprechungen kundzutun; sie geben zu, wenn sie die Antwort auf eine Frage nicht kennen. Aber sie wissen auch, wann sie aufhören sollten zu beraten und anfangen zu befehlen. Bis zu einem gewissen Punkt ist die Aussage „Ich weiß es nicht“ ein Signal für ein kleines Ego und für den Wunsch, alle anderen mitzunehmen – darüber hinaus ist es aber nur noch ein Signal für Nichtwissen.
Dieser Blog beruht auf dem Artikel “The dark and bright sides of power” im The Economist vom 27. Juli 2023.