Therapieerfahrungen von Männern, die sexuellen Missbrauch in der Kindheit erlebt haben
03.03.2023 | Lesezeit: 20 min
Diese Studie wurde im englischen Originaltext in der Zeitschrift “Counselling and Psychotherapy Research” veröffentlicht, und zwar in der Ausgabe 2023/1. Die Studie wurde durchgeführt von Laura Viliardos und Neil Murphy (School of Health and Society, University of Salford, Salford, UK) sowie Sue McAndrew (School of Nursing Midwifery and Social Work, University of Salford, Manchester, UK). Den Originaltext habe ich hier übersetzt, gekürzt und geglättet, so dass er (hoffentlich) auch für psychotherapeutische Laien gut verständlich ist.
Zusammenfassung
Weltweite Schätzungen gehen davon aus, dass 5 bis 10 % der Männer sexuelle Missbrauch in der Kindheit (SMK) erleben. Es wird jedoch viel zu wenig über SMK bei Männern berichtet, die selbst oft zögern, ihre Erfahrungen offenzulegen -aufgrund von Verletzlichkeit, Stigmatisierung, homophoben Reaktionen und der Angst vor dem Verlust ihrer Männlichkeit. Der Mangel an auf Männer ausgerichteten Forschungs- und Dienstleistungsangeboten lässt vermuten, dass männliche Betroffene von SMK marginalisiert werden.
Diese qualitative Studie konzentrierte sich auf vier erwachsene Männer, die von SMK betroffen sind. Ziel war es herauszufinden, wie Betroffene die Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für SMK durch freie und ehrenamtliche Organisationen erlebt haben.
Die persönlichen Interviews wurden aufgezeichnet und wortwörtlich transkribiert. Die Analyse erfolgte in zwei Phasen: Zunächst wurde jede Erzählung als Ganzes analysiert; anschließend wurde eine übergreifende Analyse durchgeführt, um gemeinsame Themen und Abweichungen zu ermitteln. In diesem Beitrag werden die Ergebnisse der zweiten Phase der Analyse vorgestellt. Es wurden drei Themen identifiziert in Bezug auf die Erfahrungen der männlichen Betroffenen mit spezialisierten Beratungsdiensten: „Vertrau mir, ich bin ein Arzt“, „Vertrau mir, ich bin ein Therapeut“ und „Therapeut oder Mutter?“
Dies ist die erste akademische Studie in Großbritannien, die spezifisch untersucht, wie Männer, die von SMK betroffen sind, entsprechende Beratungsangebote hierzulande wahrnehmen.
1 | Hintergrund
Sexueller Missbrauch in der Kindheit (SMK) ist ein Problem epidemischen Ausmaßes im Vereinigten Königreich und wird als internationales Gesundheitsproblem angesehen. Zu bestimmen, wie verbreitet SMK ist, stellt aufgrund unterschiedlicher Definitionen und Methoden eine Herausforderung dar. Jüngste Daten aus der Kriminalitätserhebung für England und Wales berichteten, dass etwa 7,5 % der Erwachsenen zwischen 18 und 74 Jahren angaben, vor dem Alter von 16 Jahren sexuellen Missbrauch erlebt zu haben. Frühere Untersuchungen ergaben, dass eines von drei Kindern, die von einem Erwachsenen sexuell missbraucht wurden, dies damals niemandem erzählte.
Während Statistiken darauf hindeuten, dass Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit von SMK betroffen sind als Männer, ergab eine von der britischen National Society for Prevention of Cruelty to Children (NSPCC) in Auftrag gegebene Studie, dass 11 %der Männer angaben, als Kind sexuell missbraucht worden zu sein. Weltweit geben zwischen 5 % und 10 % der Männer an, als Kind Opfer von sexuellem Missbrauch gewesen zu sein. Es besteht ein wachsender Konsens unter den Forschern, dass etwa einer von sechs Männern vor dem 18. Lebensjahr sexuellen Missbrauch erlebt hat. Trotz dieser relativ hohen Schätzungen des sexuellen Missbrauchs unter Jungen ist es wahrscheinlich, dass die tatsächlichen Zahlen aufgrund der Dunkelziffer höher sind.
Sexueller Missbrauch in der Kindheit (SMK) wird mit einer Reihe von langfristigen negativen Auswirkungen in Verbindung gebracht, die die psychosoziale Entwicklung von Kindern nachhaltig beeinträchtigen. Es ist bekannt, dass die langfristigen Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter reichen und sich auf alle Lebensbereiche auswirken können, wobei sie sich häufig als psychische Probleme manifestieren. Zu diesen Problemen gehören Depressionen, Angstzustände, dissoziative Störungen, Psychosen und Suizidalität.
Die Erfahrung von SMK bei Männern kann auch zu Verwirrung in Bezug auf die sexuelle Orientierung führen, da sie gegen sozial konstruierte geschlechtsspezifische Erwartungen verstößt. Darüber hinaus können Männer, die von anderen Männern missbraucht wurden, unter verstärkten Schamgefühlen und verinnerlichter Homophobie leiden, so dass sie die Offenlegung oft jahrzehntelang hinauszögern, weil sie befürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird und sie als weniger männlich gelten. In der Folge nehmen Männer, die SMK erlebt haben, häufig hyper-maskuline Verhaltensweisen an wie Wut und Aggression, was dazu führen kann, dass männliche Betroffene eher mit dem Strafvollzug in Kontakt kommen als mit Gesundheitsdiensten.
Männliche Betroffene von SMK werden bei der Betreuung und in der Forschung tendenziell übersehen, die sich häufig auf die langfristigen Auswirkungen von SMK auf Frauen konzentrieren. Infolgedessen werden männliche Betroffene weiterhin an den Rand gedrängt und stellen eine unzureichend erforschte Gruppe dar, die wahrscheinlich von langfristigen psychischen Problemen bedroht ist.
Obwohl es nur wenige Forschungsarbeiten über männliche Betroffene von SMK gibt, deuten die vorhandenen Untersuchungen darauf hin, dass die Erfahrungen von Männern tendenziell schwerwiegend sind. Das könnte einmal zum einen beeinflusst sein durch das frühe Alter, in dem der Missbrauch beginnt, zum anderen durch die lange Dauer des Missbrauchs und drittens durch die invasiven Handlungen, die Jungen häufig erleben, wie z. B. anale Penetration. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die psychologischen Auswirkungen von SMK für männliche Betroffene komplexer sein können als für weibliche Betroffene: Vor allem aufgrund der gesellschaftlichen Stereotype, der negativen Reaktionen auf die Offenlegung, die Männer häufig erfahren, und aufgrund mangelnder Unterstützung für Männer. Das Ziel dieser Studie war es, die Erfahrungen männlicher
SMK-Betroffener mit spezialisierten Unterstützungsdiensten zu untersuchen.
2 | Methode
In dieser qualitativen Forschungsstudie wurde ein sog. narrativer Ansatz verwendet, da Erzählungen ein primärer Katalysator sind, durch den menschliche Erfahrungen sinnvoll gemacht werden. Es wurde davon ausgegangen, dass die Verwendung eines narrativen Ansatzes die Teilnehmer zum einen dazu ermutigt, ihre Erfahrungen zu artikulieren; und es ihnen zum zweiten ermöglicht, den Ereignissen einen Sinn zu geben, die sie zuvor vielleicht nur schwer beschreiben konnten.
Es kann argumentiert werden, dass die Verwendung eines narrativen Ansatzes in der Forschung an sich therapeutisch sein kann und oft der therapeutischen Beziehung ähnelt: In der Therapie wird eine Person bei der Suche nach dem Problem in ihrer Erzählung unterstützt, wobei sie oft über Kindheitserfahrungen und Erinnerungen nachdenkt, um einen Zusammenhang zu dem Problem herzustellen. Daher können die Erzählungen auch von Forschungsteilnehmern letztlich Teil des Heilungsprozesses sein, indem ein Erzähler dabei geholfen wird, über seine Erfahrungen zu reflektieren und ihnen einen Sinn zu geben. Da in dieser Forschungsstudie ein sensibles Thema erforscht werden sollte, das sich auf die Beratungserfahrungen der Teilnehmer konzentrierte, war die Verwendung eines narrativen Ansatzes angebracht.
Es wurde eine gezielte Stichprobe gezogen, um erwachsene Männer zu rekrutieren, die
- vor dem Alter von 18 Jahren sexuell missbraucht wurden,
- in der Folge die Langzeitfolgen von sexuellem Missbrauch in der Kindheit (SMK) erlebt haben und
- Beratung und/oder therapeutische Unterstützung von den Einrichtungen in Anspruch genommen haben, die zur Rekrutierung der Teilnehmer angesprochen wurden.
Insgesamt erklärten sich vier Männer zur Teilnahme bereit.
Das Sprechen über ein traumatisches Erlebnis hat das Potenzial, eine Person zu re-traumatisieren. Gleichzeitig ist auch anerkannt, dass das Sprechen über die Erfahrung für die Person heilend sein kann. Um das Risiko einer Re-Traumatisierung und emotionalen Belastung zu verringern, wurden für die Studie solche Teilnehmer ausgewählt, die sich entweder am Ende einer Therapie oder seit längerer Zeit in Therapie befanden und somit Erfahrung damit hatten, die emotionalen Auswirkungen des Missbrauchs zu besprechen.
Obwohl der Schwerpunkt der Studie auf ihren Erfahrungen mit den Beratungsdiensten lag, war klar, dass die Teilnehmer auch ihre persönlichen Erfahrungen mit SMK besprechen könnten. Für den Fall, dass die Teilnehmer dabei in Schwierigkeiten geraten, war es von Vorteil, dass einer der Autorinnen Erfahrung als Beraterin mit erwachsenen Betroffenen von SMK hatte. Es war jedoch wichtig, dass die Forscherin den Teilnehmern gegenüber betonte, dass sie während des Interviews nicht in der Rolle einer Beraterin war und dass das Forschungsinterview keine Beratungssitzung war.
3 | Ergebnisse
Für diesen Beitrag werden drei der vier Themen aus der Analyse der Transkripte vorgestellt. Wenn man die einzelnen Aspekte, die in jeder Erzählung identifiziert wurden, zu gemeinsamen Themen zusammenfasst, ergeben sich vier Themen: „Vertrau mir, ich bin ein Arzt“, „Vertrau mir, ich bin ein Therapeut“, „Therapeut oder Mutter?“ und „Blockieren der Erinnerungen“. Die drei erstgenannten Themen werden in diesem Beitrag vorgestellt. Jedem Teilnehmer wurde zum Schutz seiner Anonymität ein Pseudonym gegeben: Tony, David, Paul und Andrew.
3.1 | Vertrau mir, ich bin ein Arzt
Drei der vier Teilnehmer gaben an, dass die Aufmerksamkeit der Medien ein Grund dafür war, sich gegenüber ihrem Arzt zu offenbaren. Sowohl David als auch Paul erwähnten in ihren Interviews den Skandal um den sexuellen Missbrauch durch Jimmy Savile. Für Paul führte dies zu einer Verschlechterung seiner psychischen Gesundheit und seiner Fähigkeit, das Leben zu meistern; es veranlasste ihn jedoch auch, seinen Arzt um Hilfe zu bitten:
Dann kam die Sache mit Jimmy Savile, und ich konnte den Deckel nicht mehr aufsetzen. Je mehr es ans Licht kam, desto mehr schmerzte es mich. (Paul)
David sprach über Jimmy Savile im Zusammenhang mit dem Hinauszögern seiner Enthüllung. Er argumentierte, dass die Leute bis nach Jimmy Saviles Tod gewartet haben, um seine Verbrechen aufzudecken, da es einfacher sei, wenn man weiß, dass der Täter einem nicht mehr schaden kann. Er betonte das mangelnde Verständnis in der Gesellschaft dafür, warum Menschen sexuellen Missbrauch in der Kindheit (SMK) erst später im Leben offenlegen, und sprach sich dafür aus, dass Menschen, die sich melden, um den Missbrauch durch „Superstars“ offenzulegen, „Stärke“ und „Mut“ haben. Diese Bewunderung für andere schien David darin zu beeinflussen, seinen eigenen Missbrauch zu offenbaren. Andrew deutete ebenfalls an, dass wohl die zunehmende Medienaktivität der Auslöser war, der seinen Arzt dazu veranlasste, ihn direkt zu fragen, ob er missbraucht worden sei:
Es war im Fernsehen, und ich glaube, ich habe etwas erwähnt, und er [Andrews Hausarzt] sagte: „Ist etwas passiert?“, und ich sagte ja (Andrew).
Die Erfahrung von Andrew, Paul und David, dass SMK in den Medien der Auslöser für ihre Offenlegung und Hilfesuche war, deckt sich mit den Erkenntnissen, dass die Inanspruchnahme von spezialisierter therapeutischer SMK-Unterstützung zunimmt, wenn die Medien Aufmerksamkeit erregen. Das beispiellose Medieninteresse an prominenten SMK-Tätern stand im Zusammenhang mit drei der Männer, die therapeutische Unterstützung suchten.
Die vier Teilnehmer dieser Studie wurden alle zunächst von ihrem Hausarzt an eine spezialisierte Beratung überwiesen. David suchte seine Hausärztin wegen einer nicht genannten Krankheit auf und beschrieb, wie er vor ihr „zusammenbrach“ und ihr mitteilte, dass er sich „depressiv“ fühle und „als Kind sexuell missbraucht“ worden sei. Es war das erste Mal, dass er einer Fachkraft von seinen Kindheitserlebnissen erzählte. Er beschrieb die Offenbarung als Erleichterung und vergleichbar mit einem „Dorn, der im Finger steckt und den man herauszieht“. Davids Hausärztin, die neu für ihn war, versicherte ihm, dass es Hilfe gibt, und setzte sich in seinem Namen mit der Fachberatungsstelle in Verbindung. Er beschrieb dieses Treffen mit seiner neuen Hausärztin als den ersten Schritt, an dem er begann, sich besser zu fühlen.
In ähnlicher Weise war Pauls Hausarzt die einzige Fachkraft, mit der er seine Erfahrungen geteilt hatte. Obwohl Paul seinen Hausarzt als „sehr gut“ beschrieb und als einen, der ihn „in- und auswendig“ kannte, schlug der Hausarzt zunächst Medikamente vor, was Paul entschieden ablehnte, da er glaubte, dass diese „Dinge blockieren“. Nachdem er Medikamente abgelehnt hatte, verwies Pauls Hausarzt ihn ungünstigerweise an eine nicht spezialisierte Beratungsstelle, bevor er ihm das „Rape Crisis Centre“ empfahl. Er wies Paul darauf hin, dass er den Missbrauch möglicherweise bei der Polizei anzeigen müsse, um die lange Warteliste dort zu verkürzen. Während des Forschungsinterviews erklärte Paul ausdrücklich, dass er den Missbrauch wahrscheinlich nicht bei der Polizei angezeigt hätte, wenn er nicht auch den Rat des Hausarztes erhalten hätte, dass der Täter verstorben sei. Man könnte argumentieren, dass Pauls Hausarzt unnötigen Stress verursachte, indem er ihm riet, den Missbrauch bei der Polizei anzuzeigen.
Tonys Hausarzt bot ihm ebenfalls Medikamente an, als er den SMK aufgedeckt hatte, was nach Tonys Aussage seine Wutprobleme verschlimmerte. Tony fand es „peinlich“, mit dem Arzt über seine SMK-Erfahrungen zu sprechen, und er hatte das Gefühl, dass man ihm zunächst nicht glaubte. Tony erklärte, dass der Hausarzt ihm schließlich glaubte, als er begann, seine Geschichte zu erzählen, und ihn dann an eine Fachberatung verwies. Im Gegensatz zu David und Paul äußerte Tony negative Ansichten und Misstrauen gegenüber seinem Hausarzt:
Deshalb gehe ich bei ihnen auch nicht ins Detail. Ich traue ihnen nicht. (Tony)
Durch die Erfahrungen der Betroffenen in dieser Studie wird deutlich, dass Hausärzte eine wichtige Rolle dabei spielen, Männer, die SMK erlebt haben, an die entsprechenden therapeutischen Dienste zu verweisen. Aus den obigen Ausführungen geht jedoch hervor, dass Hausärzte dazu neigen können, in erster Linie Medikamente anzubieten statt Gesprächstherapien. Die Männer in dieser Studie betonten, was für die Verbesserung ihres Wohlbefindens von grundlegender Bedeutung ist: eine gute Beziehung zwischen Arzt und Patient, eine einfühlsame Kommunikation, das Angebot, sich Zeit für die Patienten zu nehmen und ihnen zuzuhören, und die Tatsache, dass ihnen geglaubt wird, wenn sie sich offenbaren.
3.2 | Vertrau mir, ich bin ein Therapeut
Rogers, der Begründer der personzentrierten Psychotherapie, nahm an, dass echte Therapieergebnisse erzielt werden, wenn der Therapeut ein positives, förderliches Umfeld bieten kann, das auf drei Kernbedingungen beruht: Kongruenz oder Authentizität, bedingungslose positive Wertschätzung und Empathie. Drei der Männer in dieser Studie beschrieben, dass die Fähigkeiten und Eigenschaften des Therapeuten – Zuhören, Akzeptieren, Verstehen und nicht Urteilen – grundlegende Merkmale dafür waren, dass ihre Therapie hilfreich war:
Wenn du mit ihr sprichst, sagt sie zuerst nicht viel, sie hört dir zu. Es ist einfach ruhig um sie herum. (Andrew)
Ein grundlegendes Element der bedingungslosen positiven Wertschätzung ist, dass der Therapeut sein Urteil über den Klienten aussetzt und ihm eine bedingungslose Beziehung anbietet. David erkannte diese Eigenschaft bei seiner Beraterin:
Ich konnte nicht wirklich sagen, was passiert war, und daher war ich besorgt und auch erleichtert, dass ich endlich mit jemandem reden kann, der unvoreingenommen ist, der mich in keiner Weise beurteilt. (David)
Die Kernbedingungen, insbesondere die Kongruenz, fördern die Entwicklung von Vertrauen im Beratungsprozess; das Vertrauen in den Therapeuten gilt als eine der Grundlagen für eine effektive Beratung – und war ein wichtiges Thema für die Männer in dieser Studie. David erzählte, dass er sich frei fühlte, explizite Missbrauchserinnerungen mitzuteilen, ohne Angst haben zu müssen, seinen Therapeuten zu schockieren, da „ein gewisses Maß an Vertrauen vorhanden war.“ Tony deutete einen Mangel an Vertrauen in seinen Berater an und beschrieb seine Therapie als „nicht sehr hilfreich“. Dies könnte jedoch mit mangelnder Kontinuität zusammenhängen, da sein Berater viele Auszeiten hatte und seine Sitzungen unregelmäßig waren. Tonys zweite Beraterin war offensichtlich effektiver, wie er erklärte:
Dann kam ich zu dieser Therapeutin, zu der ich jetzt gehe. Sie hat etwas erkannt, was der andere nicht erkannt hat. (Tony)
Andrew beschrieb, wie er Angst hatte, seine erste Therapiesitzung nicht durchziehen zu können, aber das vorhandene Vertrauen hielt ihn davon ab, die Sitzungen abzubrechen:
Ich war bereit zu gehen … wegzugehen … aber da war etwas an der Art, wie meine Therapeutin sprach, und das Vertrauen war da. (Andrew)
Insgesamt sprach Andrew über sein mangelndes Vertrauen in eine Vielzahl von Fachleuten und darüber, dass dies ein Hindernis für die Inanspruchnahme von Unterstützung darstellte. Während des Interviews teilte er mit, dass er sich ohne seinen Hausarzt und seine Therapeutin und ohne das Vertrauen, das er in sie hatte, schon vor langer Zeit umgebracht hätte.
Die geschlechtsspezifische Wahl des Therapeuten kann durch bewusste und unbewusste Einflüsse bestimmt werden, z. B. durch die Geschlechterstereotypen des Klienten. Zum Beispiel könnte der Klient eine Therapeutin als fürsorglicher oder einfühlsamer empfinden. Andrew brachte diese Wahrnehmung zum Ausdruck, als er über die Merkmale sprach, die einen weiblichen Therapeuten von einem männlichen Therapeuten unterscheiden:
Es ist anders, wenn man mit einer Frau spricht. Ich weiß es nicht. Ich finde Frauen verständnisvoller und geduldiger. Ich rede mit ihr, und sie hört einfach zu. (Andrew)
Neben geschlechtsspezifischen Entscheidungen, die darauf beruhen, dass der Klient ein bestimmtes Bedürfnis befriedigt, können die geschlechtsspezifischen Präferenzen auch defensiv begründet sein. Um die Auseinandersetzung mit dem schmerzhaften und unangenehmen Material zu vermeiden, könnte ein Klient die Arbeit mit dem Geschlecht vermeiden, das mit seinen belastenden Erfahrungen aus der Vergangenheit in Verbindung gebracht wird. Dies wird durch Tony untermauert, der seine Vorliebe für eine weibliche Therapeutin erklärt und der Angst davor hatte, seinen ersten Beratungstermin wahrzunehmen, da er davon ausging, dass ihm ein männlicher Mitarbeiter zugewiesen werden würde – was dazu führen würde, dass er sich mit Bildern seines Missbrauchs auseinandersetzen müsste.
Ich würde nur sein Gesicht sehen. Wenn ich sein Gesicht sehen würde, dann würde alles … alles zu mir zurückkommen. (Tony)
Es gibt nur wenig Literatur, die sich damit beschäftigt, welche Auswirkungen es hat, wenn Klienten ein bestimmtes Geschlecht bei ihrem Therapeuten bevorzugen. Die vier Männer in dieser Studie wählten aktiv eine weibliche Therapeutin und erklärten ausdrücklich, dass sie nicht mit einem männlichen Therapeuten arbeiten könnten. Paul hatte die Wahl zwischen einem Mann und einer Frau; er erklärte, dass er einen weiblichen Berater vorzog, da er „Männern nicht traut“. Andrew hatte schon einmal mit einem männlichen Therapeuten gearbeitet, um Symptome einer Zwangsstörung zu behandeln, aber die Therapie war nicht effektiv, da er sich in der Nähe seines Therapeuten unwohl fühlte: weil dieser männlich war und Andrew von einem Mann missbraucht worden war.
3.3 | Therapeut oder Mutter?
Die Unterstützung durch Bezugspersonen wird durchgängig mit dem psychischen Wohlbefinden von sexuell missbrauchten Kindern in Verbindung gebracht. Es gibt Hinweise darauf, dass ein nahes Familienmitglied, das dem Kind glaubt und es unterstützt, die negativen Auswirkungen von SMK verringert. Bei der Analyse der Erzählungen spielte die Rolle der Mutter in allen vier Erzählungen der Männer eine wichtige Rolle, und zwar aus unterschiedlichen Gründen: Davids Mutter war mitschuldig an dem sexuellen Missbrauch, den er erlebte, und zeigte ihm während seiner gesamten Kindheit keine Zuneigung. Paul erzählte seiner Mutter von dem sexuellen Missbrauch, doch sie unternahm nichts und fragte ihn, ob er die Wahrheit sage, was dazu führte, dass er dachte, man glaube ihm nicht. Tony wurde von seiner Mutter getrennt, da sie nicht in der Lage war, sich um ihn zu kümmern. Als Tony Jahre später wieder mit ihr zusammenkam, brachte sie den Täter, der ihn missbraucht hatte, in die Familie ein. Im Gegensatz zu den anderen drei Männern vergötterte und beschützte Andrew seine Mutter.
Aus den Erzählungen der Teilnehmer über ihre Kindheit ging hervor, dass sie sich nach einer Mutterfigur sehnten. Es wurde in der Forschung bereits vorgeschlagen, dass die Beziehung zwischen Klient und Therapeut auch Parallelen zur
Mutter-Kind-Beziehung aufweist und der Therapeut als sichere Basis „fungiert“.
Darüber hinaus prägen die Gefühle, die mit einer bestimmten Bezugsperson aus der Vergangenheit verbunden sind, die Erwartungen, die der Klient an den Therapeuten hat. Tony drückte Wut und Abneigung aus gegenüber seiner früheren Therapeutin, als diese aufgrund persönlicher Umstände ihre Arbeit einstellen musste. Ablehnung und Verlassenheit haben das Potenzial, sich in der therapeutischen Beziehung zu wiederholen, wie in diesem Fall gezeigt wurde. Wenn ein Klient in der Vergangenheit von einer Bezugsperson enttäuscht wurde, wird er besonders aufpassen, nicht auch von seinem Therapeuten enttäuscht zu werden. Dies zeigt sich in Pauls Erfahrung mit seinem ersten Berater und seiner Zurückhaltung, sich erneut an eine andere Beratungsstelle zu wenden, die von seinem Arzt vorgeschlagen wurde.
4 | Diskussion
Männlicher sexueller Missbrauch in der Kindheit (SMK) ist ein vernachlässigtes Forschungsthema, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass einer von sechs Männern vor dem 18. Lebensjahr sexuellen Missbrauch erlebt hat. Die oben identifizierten Themen ziehen sich durch alle vier Erzählungen und werden als Grundlage für die Diskussion verwendet, die jetzt folgt.
4.1 | Vertrau mir, ich bin ein Arzt
Im Rahmen des Themas „Vertrau mir, ich bin Arzt“ hat sich gezeigt, dass für Männer, die SMK erlebt haben, das Aufsuchen eines Arztes ein wichtiger „Wendepunkt“ ist. Die Offenlegung gegenüber einer Fachkraft ist eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme von weiterer Unterstützung, und alle Männer in dieser Studie haben sich zunächst an ihren Hausarzt gewandt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Fachkräfte im Gesundheitswesen routinemäßig nach einer SMK-Vorgeschichte fragen sollten, um eine angemessene Überweisung sicherzustellen. Allerdings: Wenn Fragen zur Routine werden, besteht die Gefahr, dass sie unsensibel gestellt werden und/oder zu einer „Ankreuz-Übung“ werden. Sensible Informationen preisgegeben bedeutet womöglich, dass diese in der medizinischen Akte des Betroffenen festgehalten werden, was die Vertraulichkeit einer solchen Offenlegung gefährden könnte. Fachkräfte können außerdem aus Sorge vor einer Re-Traumatisierung zögern, Patienten nach ihren Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch zu fragen.
Unabhängig von solchen Bedenken kann das Nichtfragen eine Botschaft des Schweigens verstärken und dem Betroffenen vermitteln, dass seine Erfahrungen und Belastungen unwichtig sind. Bei den Männern in dieser Studie wurde die Befragung sensibel durchgeführt und war nicht schädlich, und es wurde keine Re-Traumatisierung berichtet. Ähnlich wie in der Literatur wurde auch hier festgestellt, dass die Scham und die Angst davor, dass einem nicht geglaubt wird, ein Hindernis für die Offenlegung darstellen. Es gibt klare Belege dafür, dass über SMK bei Männern zu wenig berichtet wird, wobei Forschungsergebnisse auch darauf hindeuten, dass die meisten Männer ihre Erfahrungen erst im Erwachsenenalter offenlegen und dass es im Durchschnitt zwei Jahrzehnte dauert, bis Männer ihre Erfahrungen einer anderen Person mitteilen.
Diese Ergebnisse sind vergleichbar mit den Erfahrungen von zwei Männern in dieser Studie: Einer von ihnen erzählte seinem Arzt etwa 20 Jahre nach der Erfahrung von SMK, der andere erzählte seiner Partnerin erst mindestens 45 Jahre nach der Missbrauchserfahrung davon. Wie bei den beiden Männern in dieser Studie hat die Forschung jedoch ergeben, dass Männer oft zahlreiche Versuche unternehmen, sich als Kind zu offenbaren, möglicherweise aber nicht ernst genommen werden. Unterstützung von Bezugspersonen, wenn diese vom Missbrauch erfahren, tragen dazu bei, die langfristigen Auswirkungen von SMK zu mildern. Drei der Teilnehmer hatten das Gefühl, dass ihnen geglaubt wurde, als sie sich mit einer medizinischen Fachkraft austauschten, und bezeichneten den Dialog als „hilfreich“. Einer der Teilnehmer, David, beschrieb das Gespräch mit seinem Arzt als „den größten Schritt“ auf seinem Weg zur Genesung.
Sich Hilfe zu holen, kann ein schwieriger Schritt sein. Tony wies darauf hin, dass es „für Mädchen und Frauen in Ordnung ist, aber nicht für Jungs“, und meinte, dass es deshalb „für Typen schwer ist, zu jemandem zu gehen und ihm zu sagen, was wirklich passiert ist.“ Paul wies auch darauf hin, dass die einzigen ihm bekannten Beratungsstellen Krisenzentren für Vergewaltigungsopfer sind – und er dachte, dass diese Dienste speziell für Frauen sind. In einem schottischen Bericht über die Bedürfnisse männlicher SMK-Betroffener wurde Frustration darüber geäußert, dass Beratungsstellen für sexuellen Missbrauch nur für Frauen da sind. Wie Paul hatten die Befragten nicht erkannt, dass bestimmte Dienste sowohl Frauen als auch Männern zur Verfügung stehen. Es wird vermutet, dass die Wahrnehmung des Dienstleistungsangebots beeinflusst wird von sozial konstruierten “Geschlechternormen“ und gesellschaftlichen Einstellungen zu männlichem SMK. Andrew war zum Beispiel der einzige Teilnehmer, der den Begriff „Vergewaltigung“ verwendete, als er seine Erfahrungen beschrieb. Es ist anzunehmen, dass die anderen Männer ihren Missbrauch nicht mit Vergewaltigung in Verbindung brachten. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum sie glauben, dass ein Krisenzentrum für Vergewaltigung kein geeigneter Ort ist, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
Es wurde berichtet, dass für männliche Betroffene von sexuellem Missbrauch in der Kindheit (SMK) die Motivation, sich in Behandlung zu begeben, von den Hindernissen bestimmt wird, denen sie sich möglicherweise gegenüber sehen. Auch in dieser Studie gaben alle Männer Barrieren an, die wohl mit Stigmatisierung und “dem System” in Verbindung gebracht werden können. So glaubten beispielsweise alle Männer, dass es bis vor kurzem keine Dienste für sexuell missbrauchte Männer gab. Einem der Teilnehmer wurde geraten, den Missbrauch bei der Polizei anzuzeigen, bevor er Hilfe in Anspruch nimmt, während andere lange Zeit zwischen ihrer Beurteilung und ihrem ersten Termin warten mussten. Andrew hatte in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit Fachleuten gemacht, was zu großen Vorbehalten gegenüber der Inanspruchnahme spezialisierter Unterstützung führte. Die Forschung hat festgestellt, dass eine fehlende Verbindung zu den Fachleuten, mit denen Betroffene in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatten, der Hauptgrund war für eine mangelnde Offenheit gegenüber neuen Anbietern. Daher kann die Suche nach Hilfe und die Inanspruchnahme von Unterstützung für viele Betroffene ein langer, komplexer und mühsamer Prozess sein. Es wurde bereits erwähnt, dass männliche Betroffene von SMK oft etwa zwei Jahrzehnte brauchen, bis sie den Missbrauch zum ersten Mal offenlegen; im Durchschnitt vergehen 12 Jahre zwischen der ersten Offenlegung von SMK und der ersten Inanspruchnahme von Unterstützung. Auch das Pendeln zwischen zahlreichen Diensten ist üblich, wobei Betroffene berichten, dass sie über einen Zeitraum von zehn Jahren zwischen vier und fünf Dienste aufsuchen.
4.2 | Vertrau mir, ich bin ein Therapeut
Eine positive Beziehung zu einem Therapeuten zu erleben, wird als grundlegender Vorteil der Therapie für männliche SMK-Betroffene gesehen. Für die Männer in dieser Studie war Vertrauen der Schlüssel, um eine Beziehung zu ihrem Therapeuten zu entwickeln. Bei den Reflektionen von männlichen und weiblichen SMK-Betroffenen zur Gesprächstherapie ist ein wesentlicher Aspekt, dass ihnen geglaubt wird und sie nicht beurteilt werden. Dadurch können sie feststellen, ob ein Therapeut vertrauenswürdig und würdig genug ist, ihre Geschichten zu hören. Die Männer in dieser Studie bezeugten dies. David erklärte, dass ein „gewisses Maß an Vertrauen“ vorhanden war, weil die Therapeutin eine Frau war und er sich immer jemanden gewünscht hatte, mit dem er seine „Lebensgeschichte“ über den SMK besprechen und teilen konnte.
Die Möglichkeit, Missbrauch sicher mit einem Therapeuten teilen zu können, der „Ehrlichkeit“, „Kompetenz“ und „Vertrauenswürdigkeit“ demonstriert, fördert nachweislich die therapeutische Beziehung sowie das Selbstvertrauen und verringert die Isolation. Andere Forscher stellten fest, dass die Fähigkeit männlicher SMK-Betroffener, eine vertrauensvolle Beziehung zu einer Fachkraft aufzubauen, eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass sie von der Behandlung überhaupt profitieren können. Wenn Fachkräfte keine Beziehung aufbauen können, wenn sie sich die Berichte über SMK nicht anhören oder nicht damit umgehen können, wenn sie zögern, Fragen im Zusammenhang mit der Erfahrung des sexuellen Missbrauchs zu stellen – dann, so wird vermutet, können sie unbeabsichtigt zu den Barrieren beitragen, die ein Engagement verhindern. Das alles deutet darauf hin, dass Therapeuten ausreichend geschult werden sollten, um mit SMK umzugehen. Darüber hinaus sollten Therapeuten in der Lage sein, direkte Fragen zu sexuellem Missbrauch in der Kindheit (SMK) zu stellen.
Es ist bekannt, dass unter männlichen SMK-Betroffenen die Sorge, von Fachleuten nicht akzeptiert oder verstanden zu werden, weit verbreitet ist. In dieser Studie berichteten alle vier Männer von Furcht, Angst oder negativen Erfahrungen in der Vergangenheit mit Fachleuten des Gesundheitswesens. Es ist anzunehmen, dass diese Erfahrungen dazu beigetragen haben, dass die Männer Unterstützung für ihre Missbrauchserfahrungen bis in ihr späteres Leben hinein verzögert haben. Für die Männer in dieser Studie war es beruhigend, dass sie nicht unter Druck gesetzt wurden, über ihre SMK-Erfahrungen zu sprechen, sondern dass sie dies in ihrer eigenen Zeit und dann tun konnten, wenn sie sich dazu bereit fühlten.
Das Fehlen von Leitlinien für wirksame therapeutische Interventionen wirft die Frage auf, ob ein solcher Rahmen oder ein Modell entwickelt werden könnte. Es besteht insbesondere auch Bedarf an einem Modell, das sich speziell an männliche Betroffene richtet, das über die Offenlegung hinausgeht und sich auf Unterstützung und effektive Kommunikation erstreckt. Die negativen Erfahrungen der Männer mit Fachkräften, die in dieser Studie ermittelt wurden, untermauern diesen Bedarf.
4.3 | Therapeut oder Mutter?
In der Forschung wurde betont, dass es bei der Arbeit mit Traumata vorrangig ist, eine sichere Basis zu schaffen, damit sich der Klient sicher fühlt und zurückkehrt. Alle Therapeuten, die in dieser Studie die Männer unterstützten, schienen bereits in den ersten Sitzungen eine sichere Basis geschaffen zu haben. Der Therapeut kann die sichere Basis replizieren, die mit sicheren Bindungspersonen assoziiert wird – der Klient kann dem Therapeuten eine Ersatzrolle zuweisen, wobei der Therapeut eine Mutterfigur symbolisieren kann.
Die Rolle der Mutter war ein wichtiges Thema für die vier Männer in dieser Studie. David war der einzige Teilnehmer, der sexuellen Missbrauch durch seine Mutter erlebte, während Paul seinen Schmerz darüber teilte, dass seine Mutter ihm seine Missbrauchserfahrung nicht glaubte. Männer, die von ihrer Mutter unterstützt werden, haben bei der Offenlegung von SMK seltener psychische Probleme. Andrew entschied sich, es seiner Mutter nicht zu sagen, weil er befürchtete, sie in Bedrängnis zu bringen, und Tony hatte keine Unterstützung durch seine Mutter und erlebte SMK durch ihren Partner.
Die fehlende mütterliche Unterstützung wirft auch die Frage auf, ob die therapeutische Beziehung, die möglicherweise die Mutter-Kind-Beziehung repliziert, irgendeinen Einfluss auf das Ergebnis der Therapie hatte. Aus den Berichten der Männer ging klar hervor, dass die therapeutische Beziehung nährend und unterstützend war. Sie wurde kultiviert durch die Wärme des Therapeuten und seine Fähigkeiten, zuzuhören, bedingungslos zu akzeptieren und nicht wertende Antworten zu geben.
Ein wichtiger Aspekt des therapeutischen Bündnisses ist auch die Bindung zwischen Klient und Therapeut. Ein Forscher
(Obegi) versuchte herauszufinden, wie sich diese Beziehung zwischen Klient und Therapeut entwickelt und argumentierte, dass die therapeutische Beziehung „eine sich entwickelnde Bindung an den Therapeuten“ ist. Es wurden bemerkenswerte Vergleiche zwischen der (früheren) Bindung des Klienten zu einer Bezugsperson und der therapeutischen Beziehung gezogen, die von den Männern in dieser Studie belegt werden. Die Hinwendung zu einer Bezugsperson, um ein Gefühl der Sicherheit zu erlangen, spiegelt sich in einer therapeutischen Beziehung wider: Hier nutzen Klienten die Sicherheit der Sitzungen, um schmerzhafte Gefühle und Erfahrungen zu erkunden. Für die Männer in dieser Studie war es das erste Mal, dass sie über ihre Erfahrungen mit SMK sprechen konnten, in einer Umgebung, die sich für sie sicher anfühlte.
5 | Fazit
Die Therapeuten, die in dieser Studie die Männer unterstützten, waren für die Arbeit mit SMK-Betroffenen gerüstet und verfügten über entsprechende Kenntnisse, was für einen hilfreichen therapeutischen Austausch wesentlich schien. Die Teilnehmer berichteten jedoch auch von negativen Erfahrungen mit Fachleuten aus dem Gesundheitswesen und der Psychiatrie in der Vergangenheit, und drei der Männer waren jahrelang in allgemeinen, nicht spezialisierten Diensten ein- und ausgegangen. Das Wissen, dass sein Therapeut – und auch die Forscher dieser Studie – Spezialisten auf diesem Gebiet sind und dass sie von den Missbrauchserzählungen nicht „schockiert“ sein würden, wurde von einem der Männer sowohl in Bezug auf die Therapie als auch in Bezug auf die Studie positiv bewertet. Daher könnte für Therapeuten, die mit diesem Arbeitsbereich möglicherweise nicht vertraut sind, ein Handlungsrahmen von Nutzen sein, der die wesentlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für die Arbeit mit männlichen Betroffenen von SMK aufzeigt. Dies könnte in die therapeutische Ausbildung oder in die berufliche Fortbildung aufgenommen werden.
Die Männer in dieser Studie hatten als Kinder keine Unterstützung und kämpften jahrzehntelang mit den dauerhaften Auswirkungen von SMK. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, von SMK betroffene Jungen frühzeitig zu unterstützen. Fachkräfte im Gesundheitswesen, wie z. B. Hausärzte, sollten umfassende Kenntnisse über geeignete spezialisierte Beratungsstellen haben, an welche sie betroffene Männer verweisen können, und sie müssen Kenntnisse über die Überweisungsverfahren haben.
Da Männer mit vielen Hindernissen konfrontiert sein können oder ihnen der Zugang zu bestimmten Diensten verwehrt wird, die ausschließlich Frauen vorbehalten sind, besteht ein Bedarf an spezialisierten Diensten für Männer und an einer klaren Strategie der politischen Entscheidungsträger, wie männliche Betroffene von SMK unterstützt werden können. Derzeit gibt es nur wenige spezialisierte Dienste für Männer, zum Beispiel Survivors UK (www.survivorsuk.org) und Survivors Manchester (www.survivorsm anchester.org.uk). Zusätzliche Mittel zur Unterstützung dieser Dienste und ein breiteres Angebot an spezialisierten Diensten für Männer im ganzen Land könnten dazu beitragen, einige dieser Hindernisse abzubauen.
Diese Studie beschränkte sich auf eine kleine Stichprobe von vier Männern. Dennoch hat diese Studie einen einzigartigen Einblick in die Erfahrungen männlicher SMK-Betroffener mit Therapie und Beratung gegeben. Die Rekrutierung war eine Herausforderung, da viele Beratungsstellen nicht auf die Kontaktaufnahme reagierten oder mitteilten, dass sie den Forschern nicht erlauben, Interviews mit ihren Klienten oder ehemaligen Klienten zu führen, weil die Gefahr einer Retraumatisierung besteht. Obwohl das Sprechen über eine traumatische Erfahrung durchaus das Potenzial hat, eine Person zu
re-traumatisieren, wird allgemein anerkannt, dass das Teilen einer Erfahrung auch das Potenzial hat, heilend zu wirken. Darüber hinaus widerspricht die Vorstellung, dass die Teilnahme an der Forschung zu einer Re-Traumatisierung führt, den Forschungserfahrungen: Hier fühlten sich die Teilnehmer durch das Sprechen über schwierige Lebenserfahrungen bestätigt und gestärkt.
Die Forschungsergebnisse machten deutlich, dass die Männer die Inanspruchnahme von Beratung und Therapie aus einer Vielzahl von Gründen hinauszögerten, z. B. aus Stigmatisierung und aus Angst, ihnen könnte nicht geglaubt werden. Die Offenlegung war oft nicht geplant, sondern erfolgte gegenüber einem Angehörigen der Gesundheitsberufe (Hausarzt), der die Möglichkeit hatte, sie an einen Spezialisten zu verweisen. Die Offenlegung wurde wahrscheinlich stark von den (damaligen) Medienberichten über die Sexualstraftaten eines Prominenten beeinflusst.
Ein Schlüsselfaktor für die Überzeugung der Männer, dass sich ihre Bewältigung verbessert hat, waren die therapeutischen Fähigkeiten des Beraters und die Erlaubnis, ihre Geschichte auf ihre eigene Weise zu erzählen. In jedem Fall hatten sich die Männer für eine weibliche Therapeutin entschieden, da sie der Meinung waren, dass sie sich auf eine Frau einlassen konnten und es dann weniger schwierig war, ihre Geschichte zu erzählen, da sie kein Vertrauen in Männer hatten.
Die Verwendung einer narrativen Untersuchung gab den Männern die Möglichkeit, ihre Geschichte auf ihre eigene Weise und in ihrer eigenen Zeit zu erzählen. Es hat den Männern viel Mut abverlangt, ihre Geschichten mitzuteilen, und die Konstruktion ihrer Erfahrungen war manchmal eine emotionale Herausforderung. Ihre Geschichten werden den Leser hoffentlich helfen, sexuellen Missbrauch in der Kindheit (SMK) bei Klienten zu erkennen, zu erforschen und ihnen zu helfen, zum richtigen Zeitpunkt Unterstützung zu finden.