Was Klienten in der Therapie wirklich brauchen
07.08.2025 | Lesezeit: 3 min
Wie entsteht eigentlich eine gute therapeutische Beziehung? Und was genau brauchen Klienten, um sich auf einen inneren Prozess einzulassen?
In der psychologischen Forschung gibt es seit vielen Jahren drei große Begriffe, wenn es um diese Fragen geht: die therapeutische Allianz, die reale Beziehung und die Bindung zum Therapeuten.
Alle drei Konzepte beschreiben wichtige Aspekte – aber sie stammen aus verschiedenen Theoriewelten und wurden selten gemeinsam betrachtet. Eine neue Studie aus Portugal hat nun den Versuch gewagt, diese Blickrichtungen zu vereinen. Der Fokus lag dabei ganz auf der Perspektive der Klienten: Was nehmen sie wahr? Was empfinden sie als hilfreich – oder als schwierig?
Das Ergebnis ist ein spannendes Modell mit fünf Beziehungserfahrungen, die quer zu allen Therapieschulen stehen und einen überraschend klaren inneren Kompass sichtbar machen.
Beziehung ist mehr als Methode
Die Autoren Ribeiro und Dias Neto befragten 373 Menschen, die aktuell oder in der Vergangenheit Psychotherapie in Anspruch genommen hatten. Darunter waren Klienten aus ganz unterschiedlichen Verfahren – von Psychoanalyse über Verhaltenstherapie bis zu integrativen Ansätzen. Alle füllten drei standardisierte Fragebögen aus: zur therapeutischen Allianz, zur realen Beziehung und zur Bindung an den Therapeuten. Im Anschluss werteten die Forscher die Daten mithilfe einer Faktorenanalyse aus – einem Verfahren, mit dem sich verborgene Muster in großen Datensätzen erkennen lassen.
Das Ergebnis: Fünf Dimensionen, die zusammen fast die Hälfte der Beziehungswahrnehmung erklärten. Und das Bemerkenswerte: Jede dieser Dimensionen beschreibt kein theoretisches Konstrukt – sondern ein sehr konkretes Beziehungserleben.
Die fünf Beziehungserfahrungen
1. Das Bedürfnis nach Sicherheit beim Therapeuten
Am stärksten ausgeprägt war das Bedürfnis, sich beim Therapeuten sicher fühlen zu können. Gemeint ist keine äußere Sicherheit, sondern eine gefühlte innere Stabilität: Kann dieser Mensch mit mir und meinem Erleben umgehen? Reagiert er ruhig, zugewandt, innerlich klar?
2. Der Wunsch, vom Therapeuten wirklich gesehen und umsorgt zu werden
Ein zweiter starker Faktor war das Bedürfnis nach emotionaler Fürsorge. Nicht im Sinne einer Abhängigkeit, sondern als Ausdruck einer sehr menschlichen Hoffnung: Wird das, was ich mitbringe, innerlich gehalten? Fühlt sich meine Gegenwart für den anderen bedeutsam an?
3. Die Angst, sich ganz zu zeigen
Viele Klienten erleben in der Therapie eine Scheu, sich unverstellt zu zeigen – aus Sorge, abgewertet oder missverstanden zu werden. Diese Angst kann besonders groß sein, wenn frühere Bindungserfahrungen von Verunsicherung oder Grenzverletzung geprägt waren.
4. Das Bedürfnis, an Zielen zu arbeiten
Auch der Wunsch, gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten, zeigte sich als eigener Faktor. Auffällig war aber: Für die Klienten war nicht in erster Linie wichtig, welche Aufgaben konkret anstanden – sondern ob sie sich auf die Beziehung verlassen konnten, um sich auf diesen Weg überhaupt einzulassen.
5. Der Wunsch nach mehr Kontakt – jenseits der Sitzung
Manche Klienten sehnten sich nach mehr Nähe, mehr Austausch, mehr persönlicher Verbindung – auch außerhalb des Settings. Das kann Ausdruck einer intensiven Bindung sein, aber auch von Unsicherheit oder der Angst vor einem zu abrupten Ende.
Was bedeutet das für die therapeutische Arbeit?
Die Studie macht deutlich: Beziehung ist kein Beiwerk der Therapie. Sie ist ihr Fundament. Und sie folgt offenbar einer bestimmten inneren Logik. Wer sich nicht sicher fühlt, kann sich kaum auf Veränderung einlassen. Wer das Gefühl hat, nicht gesehen zu werden, wird sich nicht zeigen. Und wer sich nicht zeigen kann, bleibt in seinen inneren Kreisen gefangen.
Das neue Modell der portugiesischen Forscher ist keine neue Schule. Es ist ein theoretisch fundierter, empirisch gut gestützter Versuch, die Perspektive der Klienten sichtbar zu machen – und zwar unabhängig vom jeweiligen Verfahren. Es spricht damit für einen transtheoretischen Beziehungsbegriff, der sowohl in psychodynamischen als auch in kognitiv-behavioralen oder humanistischen Ansätzen fruchtbar gemacht werden kann.
Ein personzentrierter Blick zwischen den Zeilen
Der personzentrierte Ansatz wird in der Studie nicht namentlich erwähnt. Und doch schwingt seine Haltung in vielen Formulierungen mit: Die Bedeutung von Echtheit, der Wunsch nach Beziehung auf Augenhöhe, die Idee, dass therapeutische Veränderung vor allem in einem bestimmten Raum von Beziehung geschieht – all das erinnert stark an Carl Rogers’ Grundgedanken.
Als jemand, der personzentriert arbeitet, erlebe ich täglich, wie sehr sich diese Haltung mit moderner Forschung verträgt. Die empirische Psychotherapie-Forschung liefert immer wieder neue Worte und Modelle – doch oft beschreiben sie das, was in einer guten therapeutischen Beziehung schon längst spürbar ist.
Ein Modell, das Orientierung geben kann
Die Studie liefert kein Patentrezept. Aber sie bietet Orientierung: Therapeuten – und auch Klienten – können durch dieses Modell besser verstehen, welche inneren Bewegungen in der Beziehung eine Rolle spielen, wie sich Bindungserfahrungen auf das Hier und Jetzt auswirken, und welche Stationen eine vertrauensvolle Beziehung oft durchläuft.
Vielleicht lässt sich die therapeutische Beziehung nicht vollständig messen. Aber sie lässt sich mitfühlend erforschen. Und genau das hat diese Arbeit getan.
Quelle:
Ribeiro, P. R. & Dias Neto, D. (2025). Therapeutic Relationship Through the Lenses of the Real Relationship, Therapeutic Alliance and Attachment to the Therapist: In Search of a Synthesis. Counselling and Psychotherapy Research, 25:e12894. https://doi.org/10.1002/capr.12894